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Osteomyelitis bei Kindern
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- vor einem Monat zuletzt von Sandra Fuhrmann bearbeitet
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Kapitelinformationen | |
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Stand: | Februar 2022 |
Kapitelleitung: | Norma Jung |
Autor:innen: | Rika Draenert, Ingo Greiffendorf, Norma Jung, Anna Philine Karl, Katrin Kösters, Franka Lestin-Bernstein, Friedrich Reichert |
Reviewer:innen: | Sören Becker |
Beteiligte Fachgesellschaften: | ![]() |
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Die Osteomyelitis bei Kindern zeigt sehr unspezifische Symptome und muss bei jeder unklaren Krankheitspräsentation bedacht werden. Die Therapie kann häufig konservativ erfolgen. Die Prognose der Osteomyelitis im Kindesalter ist gut.
Inhaltsverzeichnis
Klinisches Bild
Die Symptome sind unspezifischer, je jünger das Kind ist. Der Beginn ist eher schleichend/subklinisch, im Gegensatz z.B. zur septischen Arthritis. Symptome über alle Altersgruppen:
- Schmerzen 81%,
- Lokalisierte Symptome 70%,
- Fieber 62%,
- Pseudoparalyse 50%,
- Belastungsvermeidung 50%.
Neugeborene und Säuglinge |
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Kleinkinder und Schulkinder |
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Neugeborene und Säuglinge |
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Kleinkinder |
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Ältere Kinder |
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Klinische Situationen
Lokalisationen
Femur 20-30%, Tibia 19-26%, Humerus 5-13%, Becken 3-14%, Calcaneus 4-11%, Fibula 4-10%, Radius 1-4%, Clavicula 1-3%. Übrige Lokalisationen 1-2%.
Die OM im Kindesalter wird initial immer stationär behandelt.
Bei Kindern ist die Ursache der Osteomyelitis meist die hämatogene Streuung ohne bekannten Primärfokus (häufiger als bei den Erwachsenen), nur selten per continuitatem nach Trauma. Bei Neugeborenen findet sich die Osteomyelitis meist in der Epiphyse meist in Kombination mit einer Arthritis. Bei 5-10% der Fälle findet sich bei Kindern eine multifokale Osteomyelitis mit mehreren Herden.
Epidemiologie
5-10 pro 100.000 Kinder jährlich.
Prognose
Die Prognose der Osteomyelitis bei Kindern ist generell gut.
- Restitutio ad integrum in >90% der Fälle.
- Defektheilung (z.B. Wachstumsstörung bei Beteiligung der Epiphysenfuge) in bis zu 10%.
- Für schwerere Verläufe prädisponieren: Einbezug der Wirbelsäule, Multifokalität, Risikokonstellation (Immunsuppression o.ä.).
- Risiken für Defektheilung sind: Erkrankung im Neugeboren- oder frühen Säuglingsalter, Beteiligung der Epiphysenfugen, Ansprechen der Therapie erst nach >5d.
CAVE: Rezidive und Chronifizierungen treten bei verzögertem Therapiebeginn oder zu kurzer Therapiedauer auf.
Diagnostik
Diagnosekriterien
Der Goldstandard zur Diagnose ist der Nachweis eines Erregers aus Knochen. Bei Blutstrominfektion mit einem typischen Erreger kann die Diagnose auch in Kombination mit einem klinischen und radiologischen Korrelat gestellt werden.
Diagnostische Schritte
- Klinische Untersuchung:
- Da multilokuläre Manifestation häufig, sorgfältige Untersuchung des gesamten Skelettsystems
- HNO- und zahnärztliche Untersuchung
- Labor:
- BSG meist stark erhöht (sehr selten <20mm/hg)
- CRP mäßig erhöht (außer bei Kingella kingae, dabei oft sehr niedrig). Sehr gut für die Verlaufsbeurteilung
- Leukozytose unzuverlässig
- Blutkulturen (mindestens aus 2 Entnahmeorten) sind obligat bei jedem Verdacht auf Osteomyelitis
- Bildgebung:
- Sonographie: V.a. für septische Arthritis, ansonsten orientierend
- Röntgen: Ausschluss anderer Ursachen (v.a. Tumor oder Fraktur). Osteomyelitis erst spät 10-21d nach Symptombeginn erkennbar
- MRT: Diagnostik der Wahl. Gute Darstellung, v. a. Differenzierung von anderen Läsionen. Veränderungen früh sichtbar bereits 3d nach Symptombeginn
- Die Skelettszintigrafie ist bei Kindern obsolet
- Fokussuche bei Blutstrominfektion (Echokardiographie, Sono-Abdomen, Sono-Schädel (bei Säuglingen), MRT des Kopfes bei persistierenden Kopfschmerzen (bei Kindern))
- Intraoperative Materialgewinnung:
- Histologie
- Mikrobiologie: Keine Abstriche, immer Gewebeproben ggf. plus Punktate! Ein kultureller Erregernachweis gelingt in ca. 70% der Fälle. Eine universelle bakterielle PCR (16S-rDNA-PCR) empfiehlt sich bei jeder Probe ohne kulturellen Erregernachweis (Rückstellproben vereinbaren!).
Differentialdiagnosen
Tumor, Trauma und Traumafolgen, Histiozytose, Chronisch rekurrierende multifokale Osteomyelitis (CRMO).
Erreger
Häufigster Erreger: Staphylococcus aureus. Seltener: A-Streptokokken, Pneumokokken
Zusätzlich nach Alter / Lokalisation / Anamnese:
Alter
- Frühgeborene: Escherichia coli, Pseudomonas spp., Candida spp.
- Neugeborene: B-Streptokokken, Gramnegative (Escherichia coli, Pseudomonas spp., Neisseria gonorrhoeae), Candida spp.
- Säuglinge und Kleinkinder: Kingella kingae (in Deutschland häufig, schwer anzuzüchten daher oft nur per PCR zu finden), Haemophilus influenzae Typ b (Hib, bei ungenügendem Impfstatus), Salmonella spp.
Lokalisation
- Gesicht (Unter-/Oberkiefer), Becken: Anaerobier
- Wirbelkörper: Mycobacterium tuberculosis, Bartonella henselae, Brucella spp., Enterobacterales und andere gramnegative Stäbchen
Anamnese
- Aufenthalt in Endemiegebieten: Mycobacterium tuberculosis, Brucella spp.
- Z.n. Enteritis: Salmonella spp., andere Enterobacterales
- Sichelzellanämie: Salmonella spp.
- Tierbisse, Perforationstrauma am Fuß: Pseudomonas spp., Anaerobier (Bacteroides, Clostridien), Bartonella spp., Pasteurella multocida, Capnocytophaga canimorsus, Streptococcus intermedius
- Hämatolog. Grunderkrankung mit Eisenüberladung: Salmonella spp.
- Immundefekt, Leukämie: Pseudomonas spp.und andere Gramnegative (z.B. Serratia spp.), Nocardia spp., Aspergillus spp, Candida spp, nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM)
Therapie
Operative Therapie
Indikationen für eine operative Intervention sind:
- Ausbleibende klinische Besserung nach 48-72 Stunden adäquater antibiotischer Therapie
- Drainage eines subperiostalen oder intramedullärer Abszesses oder Weichteilabszesses
- Debridement bei diffuser Ausbreitung
- Sequestration
- Eitrige Arthritis
Die operative Einlage von antibiotikabeschichteten Kugeln ist obsolet.
Empirische Therapie
Es sollen S. aureus, A-Streptokokken und Pneumokokken erfasst werden.
Zusätzlich dazu die oben genannten Erreger je nach Altersklasse. Waren die Patient:innen kürzlich in Regionen mit hoher MRSA-Prävalenz, soll MRSA erfasst werden.
Alter | Empirische Therapie | Dosierung | Bemerkung |
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Frühgeborene, nosokomial erworbene OM bei Neonaten | Kinderinfektiologische Mitbeurteilung empfohlen! Abhängig von lokalen Resistenzdaten. | ||
0-2 Monate | Ampicillin/Sulbactam i.v.
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100mg/kg/d Ampi-Anteil in 3 ED
5mg/kg als KI 1x/d |
Genta-Talspiegel vor 3. Gabe, Ziel <1mg/l |
>2 Monate bis 4 | Ampicillin/Sulbactam i.v.
oder Cefuroxim i.v. |
100mg/kg/d Ampi-Anteil in 3 ED
150-200mg/kg/d in 3 ED |
Clindamycin wirkt nicht gegen K. kingae |
Ab 5a Monate | Cefazolin i.v.
oder Cefuroxim i.v. |
100-150mg/kg/d in 3 ED
150-200mg/kg/d in 3 ED |
Anamnese | Therapie | Bemerkung |
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Verdacht auf Salmonellen (Z.n. blutiger Diarrhoe), Sichelzellanämie oder
V.a. Gonokokken |
Ceftriaxon
PLUS Flucloxacillin i.v. |
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Fokus im Gesicht / Kiefer | Ampicillin/Sulbactam i.v. |
Therapiedauer und orale Sequenztherapie
Unkomplizierter Verlauf
Gesamtdauer: 3-4 Wochen
Kriterien:
- Alter >3 Monate
- Sterile Kontrollblutkulturen bei S. aureus nach 2-4 d
- Kein Abszess oder ausgeprägte Knochendestruktion
- Rasches klinisches Ansprechen
- Kein MRSA, kein PVL+, keine Salmonellen
- Keine Neugeborenen
- Keine Becken- und WS-Beteiligung
- Keine Immunsuppression
Orale Sequenztherapie innerh. von 3-5d nach Symptombeginn bei
- CRP halbiert (zum Höchstwert) oder <2mg/dl (Ref.:<0.5) und 48h fieberfrei
- Gute Compliance und sichere Nachkontrollen
- Ausnahme: S. aureus Bakteriämie
Komplizierter Verlauf
Gesamtdauer : 4-6 Wochen
davon intravenös: 7-14 d, bei Säuglingen in den ersten 3 Lebensmonaten: 21d
Erreger | Therapie und Dosis |
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S. aureus | MSSA:
i.v.: Flucloxacillin 200mg/kg/d in 4 ED p.o.: Cefadroxil 75-150mg/kg/d in 3 ED oder Cephalexin 75-120mg/kg/d in 3 ED oder Clindamycin 30-40mg/kg/d in 3 ED
i.v.: Clindamycin 30-40mg/kg/d in 3 ED p.o.: Clindamycin 30-40mg/kg/d in 3 ED oder Cotrimoxazol 6-12mg/kg/d TMP-Anteil in 2 ED |
Streptokokken | i.v.: Penicillin G 400000IE/kg/d in 4 ED
Neugeborene: 150000IE/kg/d in 3 ED p.o.: Amoxicillin 100-120mg/kg/d in 3 ED |
Kingella kingae | i.v.: Ampicillin 100-120mg/kg/d in 3 ED
p.o.: Amoxicillin 100-120mg/kg/d in 3 ED |
Salmonellen | i.v.: Ampicillin 100-120mg/kg/d in 3 ED
p.o.: Amoxicillin 100-120mg/kg/d in 3 ED |
Gonokokken | i.v.: Ceftriaxon 100mg/kg/d in 1 ED
Neugeborene 75mg/kg/d p.o.: Cefixim 8mg/kg/d in 2 ED (ab 6Mo) |
Empirische intravenöse Therapie | Empirische orale Sequenztherapie |
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Cefazolin | Cefadroxil 75-150mg/kg/d in 3 ED
oder Cephalexin 75-120mg/kg/d in 3 ED |
Clindamycin | Clindamycin 30-40mg/kg/d in 3 ED |
Ampicillin/Clavulansäure | Amoxiclav 120mg/kg/d Amoxi-Anteil in 3 ED |
Cefuroxim | Cefadroxil 75-150mg/kg/d in 3 ED |
Nachbetreuung
- Risiko für Defektheilung: Klinische Kontrollen beim Kinderarzt oder Kinderorthopäden, insbesondere bei Epiphysen- und Gelenkbeteiligung im Zentrum sinnvoll.
- Die orthopädische Nachsorge ist wichtiger als die infektiologische Nachsorge.
- Das CRP sollte bei Absetzen der Antibiotika normalisiert sein.
Quellen
Die Leitlinie der European Society of Pediatric Infectious Diseases (ESPID) “bone and joint infections” lässt keine Fragen zu dem Thema offen und geht auch auf seltene Konstellationen und Fragestellungen ein: https://journals.lww.com/pidj/Fulltext/2017/08000/Bone_and_Joint_Infections.18.aspx
DGPI Handbuch “Infektionen bei Kindern und Jugendlichen”, 7. Auflage 2018
David K. Hong, Kathleen Gutierrez. “Osteomyelitis”. In Long, Sarah S. MD; Pickering, Larry K. MD; Prober. Principles and practice of pediatric infectious diseases, 5th edition, 2018.
Krogstad, P. Hematogenous osteomyelitis in children. In: UpToDate, Post, TW (Ed), UpToDate, Waltham, MA, 2021.